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Stoned Poets

Von experimentellem Radio zur Liebe für Poesie - Peer de Beer schafft mit seiner Sendung
"Stoned Poets" eine beeindruckende Verknüpfung.
SternenBlick verrät er im Interview wie er auf die Idee kam, was ihn antreibt und wie er zur Dichtung steht.

Die Stunde der Poesie

Eine glückliche Fügung führte mich zur Radiosendung von Peer de Beer (rechts). Stoned Poets läuft seit November 2014 jeden zweiten Mittwoch im Monat auf Radiofabrik.at, einem Salzbuger Radiosender, der jedem Menschen mit einem guten Konzept die Möglichkeit einräumt (durch Bereitstellung der technischen Vorausetzungen) mit seiner eigenen Show auf Sendung zu gehen.
Peer de Beer schafft für Dichtern, Poetry Slammer und Künstler eine Stunde der Poesie. Hier kann sich der Künstler und mit seinem Werk präsentieren - eine gute Chance gehört zu werden von künftigen Liebhabern der eigenen Dichtung.
Neben gut gewählter Musik, erfährt der Hörer immer auch etwas über den Moderator Peer de Beer, der eine tolle Persönlichkeit ist und selbst seit Kurzem dichtet.
Ich freue mich daher, dass sich Peer nicht lange um ein Interview bitten lies:

SternenBlick im Interview mit Peer de Beer


Die Radiofabrik verfolgt einen interessanten Ansatz, indem sie das Equipment stellen und jeder kann mit seinem Konzept auf Sendung gehen. Denkst du, dass deine Sendung auch im “klassischen Radio“ einen Platz gefunden hätte?


Peer: "Ehrlich gesagt, hat sich mir die Frage so nie gestellt. Definitiv ist es so, dass die Freiheit, die ich bei der Radiofabrik habe, im kommerziellen oder öffentlich-rechtlichen Rundfunk undenkbar wäre. In der Regel mischen sich dort tausend Leute ein und wollen mitbestimmen. Am Ende erkennt mensch meist die eigene Idee kaum noch wieder.
In der Radiofabrik kann ich als gleichwertiges Mitglied in der Sendergemeinschaft auf Augenhöhe Sendungen machen, und zwar was ich will, wie ich es will und so oft ich es will - soweit Sendeplätze verfügbar sind, und im Rahmen einer Sendevereinbarung, die einige wenige Ausschlusskriterien für Inhalte wie Rassismus etwa hat. Und die Unterstützung der Radiofabrik in Form von Workshops z.B. ist beispielhaft.
Auch die Freiheit zu experimentieren hätte ich im "klassischen Radio" wohl nie in der Form erhalten. Dort braucht mensch Seilschaften, um rein zu kommen, es wird immer vom Ergebnis her gedacht und es ist wenig Mut für Experimente vorhanden. Das kann mensch bedauern, und ich finde es dumm, weil experimentelle Kreativität Vorbedingung guter Unterhaltung ist, aber so ist es."


Wie ist dein Konzept und wie sieht eine Sendungsvorbereitung bei dir aus?


Peer: "Gute Frage - in der Regel anders als ich es erwartet habe. Und das gilt für das Konzept wie für die einzelnen Sendungen gleichermaßen. Ursprünglich wollte ich mit einer Freundin eine Sendung über und mit interessanten Menschen und Initiativen machen und dazu ungewöhnliche Musik spielen, die das thematisch aufgreift. Mit Worten und Musik malen, habe ich das genannt. Das ergab ein paar, wie ich finde, spannende Sendungen, in denen wir uns miteinander und mit der Technik vertraut gemacht haben. Kann mensch noch online nachhören (hier).
Leider war dann Schluss und ich habe mich entschlossen, alleine weiter zu machen. Und da saß ich nun im Studio. Das Konzept ist ziemlich breit angelegt, folgt dem, was mich persönlich interessiert, und ist in konstanter Bewegung begriffen.

"Denn es ist mir längst klar,
dass nichts bleibt,
      dass nichts bleibt,
  wie es war."

   Hannes Wader

Es geht mir um Poesie und Schönheit, und die finde ich überall: in Poesie, Musik, in Menschen, auf der Straße, im Dreck und hinter Palasttüren. Mit meinen Sendungen versuche ich diese Schönheit spürbar, fühlbar, tastbar und erlebbar zu machen.

Dabei ist die Überraschung mein ständiger Gast. Gleich bei der ersten Sendung von STONED POETS ist mir mein Studiogast zwei Stunden vorher abgesprungen. Ich hatte dann das Glück, dort wo ich gerade war, jemanden zu finden, der bereit war, einzuspringen und ein paar seiner Texte vorzutragen. Das war der Lukas Wagner, Slammer aus Salzburg, den ich vorher nicht kannte, und der in vielerlei Hinsicht eine großartige Entdeckung für mich ist. Es muss also da draußen jemanden geben, der für mich die Sendungen zusammen rührt, weil sie funktionieren bisher eher trotz statt wegen eines Konzepts. Manchmal sende ich live, dann überlege ich vorher grob, welche Musik passen könnte, treffe mich, wenn es geht, etwas früher mit den Gästen, weil ich festgestellt habe, dass der Vorlauf etwas von der Befangenheit nimmt und gut aufwärmt, und dann geht es in Studio.
Manchmal produziere ich vor - insbesondere bei Interviews ist es oft nicht möglich, die Gäste Mittwochs um 21 Uhr in das Studio zu bekommen. Dann kann ich die Interviews hinterher beim Schneiden verdichten und mit passender Musik kombinieren. Das ist ein bisschen wie Komponieren, aus all den Einzelteilen ein großes Ganzes zu weben, es zu einer dicht erzählten Geschichte oder einem dichten Gedicht zu machen. Auch schön!"


Du rufst Poeten ausdrücklich dazu auf, sich bei dir zu “bewerben“.
Was muss man bei dir für Voraussetzungen erfüllen, um “Gehör“ zu finden?


Peer: "Es gibt zwei Möglichkeiten: Komm geh dicht ist eine Facebook-Gruppe von mir, auf der man eigene Gedichte posten und sich Likes abholen kann.
Wer mir dort auffällt oder viele Likes bekommt, hat die Chance, zu mir in die Sendung eingeladen zu werden. Daneben bin ich aber auch noch in anderen Gruppen unterwegs und spreche die Leute direkt an. Eine Gruppe, die mir sehr gefällt, ist Club der lebendigen Dichter. Dort habe ich die großartige Mirani Meschkat kennen und lieben gelernt. Sie wird in einer meiner nächsten Sendungen mit ihren Gedichten zu hören sein.
Natürlich ist meine Auswahl immer subjektiv. Berührt mich etwas oder nicht? Empfinde ich die Sprache als etwas Eigenes oder sind es Zitate? Empfinde ich es als echt oder Versatz von Phrasen?"


“Stoned Poets“ scheint vom Titel her nicht in Richtung klassische Dichtkunst,
die umhüllt von seichten Klängen ist, zu weisen.
Warum hast du diesen Titel für deine Sendung gewählt?


Peer: "Er kam so über mich - und eigentlich genau deswegen. Ich wollte nichts Seichtes, Gefälliges und Oberflächliches machen. Dichten ist für mich etwas Existenzielles, Aufwühlendes und Bewegendes, das aus Unmittelbarkeit lebt und auf das man sich einlassen muss wie auf das Leben, das sich auch nicht aus sicherer Entfernung leben lässt. Dann ist es vertan und das Gedicht verschenkt.
Dazu hat Dichten für mich wie die Musik und andere Künste auch etwas Rauschhaftes an sich. Es ist Teil ihres Wesens, uns jenseits der Sprache und jenseits von dem führen zu können, von dem wir glauben, das seien "Wir", also jenseits unserer Vorstellungen, Konzepte und Erwartungen in ein jungfräuliches Land. Na, jetzt wird's aber poetisch..."


Du schreibst selbst Gedichte.
Brachte dich dieser persönliche Bezug zur Idee für dein Radioprogramm?


Peer: "Andersrum, witzigerweise. Ich hab erst durch die Sendung ernsthaft, wenn auch mit viel Spaß angefangen, Gedichte zu schreiben. Nicht, dass ich es versucht hätte. Ich habe als Kind schon gerne geschrieben, aber meine Gedichte gehörten eher zur Kategorie 'Reim dich, oder ich fress dich!' als dass sie poetische Qualitäten besessen hätten. Aber an Briefen und Bildern konnte ich Stunden sitzen, und habe dabei jedes Detail auf die Goldwaage gelegt. Auch später habe ich mich unheimlich schwer getan, etwas 'Eigenes' zu kreieren. Ich habe zwar Bücher geschrieben, und das ziemlich erfolgreich unter meinem bürgerlichen Namen, aber nicht Romane oder so etwas, sondern Gebrauchsliteratur, Elternratgeber, um genau zu sein. Zu mehr hat es nicht gelangt, weil es immer nur Abklatsch war, was mir poetisch einfiel, und das andere konnte ich selbst nicht ernst nehmen. In der Malerei bin ich immer noch an dem Punkt, zu viel zu wollen, glaube ich.

Und dann sitze ich in meiner ersten Sendung, die ich allein und nach unserer Trennung gemacht habe, und stelle auf einmal fest, es ist schon die Musik, aber es sind vor allem die Worte und die Texte, die mich interessieren, und dass die meisten Songs eigentlich vertonte Gedichte sind. Das war eine wirklich große Offenbarung für mich. Und ich glaube, es war noch in dieser Nacht, dass ich angefangen habe, eigene Gedichte zu schreiben, und dass ich das Gefühl hatte, das ist jetzt Poesie, was da entsteht.
Einmal bin ich mitten in der Nacht aufgewacht und hab zehn Gedichte am Stück aufgeschrieben, die einfach so durch mich hindurch flossen, bevor ich weiter schlafen konnte. Wie wenn ich mich durch die ganzen Schleier und Nebelwände erst hätte durcharbeiten müssen, und auf einmal ist alles ganz klar und geht von da ab ganz leicht. Nicht, dass ich nicht mehr an meinen Gedichten arbeiten müsste, aber es geschieht jetzt mit einem Lächeln und mit Leichtigkeit, und wenn es nicht so ist, mache ich etwas verkehrt."


Bist du eher der Gelegenheitsschreiber oder ein tägliches, inneres Bedürfnis?


Peer: "Ich glaube, das muss sich noch entwickeln. Ich kenne beides, aber meist so, dass es intensivere Zeiten gibt, und dann ist die Auseinandersetzung mit Sprache wieder sporadischer. Klimt war ja der Beamte unter den Malern, und hat sich jeden Tag zu bestimmten Zeiten vor die Leinwand gesetzt und den Pinsel auch zu festen Zeiten wieder aus der Hand gelegt. Ich sammle eher tagsüber Stimmungen und Eindrücke, und bin dann nachts aktiv, wenn alles schläft, in der blauen Stunde.

 

Die Gedichte entstehen meist durch äußere Anstöße. So wie dieses Interview mich dazu inspiriert hat, ein Hölderlin und Brecht Gedicht zusammen mit Mirani und Knut zu schreiben. Aber ein paar Gedichte sind auch schon alleine aus innerer Notwendigkeit heraus entstanden und mir selbst noch mysteriös, wie die zehn in der Nacht, als ich nicht mehr einschlafen konnte, und die ich erst mal zur Seite gelegt habe, um sie mir später wieder vorzunehmen."


Würdest du uns ein Gedicht vorstellen, das dir besonders wichtig ist?
Was macht es für dich zu etwas Besonderem?


Peer: "Ich nenne dir drei, die mich in letzter Zeit bewegt haben:

 

1. Das Erste ist die CD POEM, Leonhard Cohen in 20 Jahren ins Deutsche übertragen von Misha Schoeneberg, früher Texter von Rio Reiser, und interpretiert von einer erlesenen Mischung von Künstlern wie Madsen, Mrs. Greenbird, Anna Loos, Max Prosa, Tim Bendzko, Alin Coen & Joa Kuehn, Reinhard Mey, Cäthe, Johannes Oerding, Jan Plewka, The Beautiful Loosers, Manfred Maurenbrecher, Peter Maffay, Fehlfarben, Stefan Waggershausen, Nina Hagen, Stefan und Suzanna Troyke, und erschienen bei Sony.
Ich finde die Übersetzungen und Interpretationen besser als das Original, und das will was heißen.

 

2. Die zweite ist die duftende poetische Dichtkunst von Mirani Meschkat.
Hier ein Beispiel:

abendgold

schwer fällt das licht ins gras.
aus allen schatten
steigt feierlich und süß ein altes lied,
und unterm frühen mond
brennt wieder mal das alte sehnen.
zwei dunkle vögel fliegen sich entgegen
im tiefen blau…
der himmel wartet:
werden sie je sich begegnen?
verwoben sind die träume mit dem leben,
die zukunft glüht wie gold
im samenkorn der zeit.
im drachenflug, im urgesang
versuchten wir ein wenig zu verstehen.
wir wissen nichts –
und sind zu allem doch bereit.

 

Mirani Meschkat

3. Als Drittes noch eins von mir, weil es mir voller Rätsel und Gewissheit erscheint, und weil ich es schön finde.

Das Leben ist die Frage an sich
Und täglich neu der Botschaft sich zu öffnen
Die von Liebe, Hoffnung kündet und Verzicht
Aus Nichts Zauber zu erschaffen und Gedicht
Von Bäumen Sinn und Wärme sich zu pflücken
Aus Augen Sehnsucht und ein Licht
Von Lippen ein Du, das doch ein Ich
Mehr braucht es nicht

 

Peer de Beer


Eine letzte Frage: Wen möchtest du gern für deine Sendung gewinnen und warum?


Peer: "Ich lass mich gerne überraschen, und wüsste jetzt spontan niemanden zu nennen. Doch warte: Julian aus Cusco in Peru. Einer der ungewöhnlichsten und erstaunlichsten Menschen, die ich je getroffen habe. Vielleicht kommt er bald und wird uns was singen. Drück mir die Daumen!"


Ich danke Peer für dieses spannende Interview und die authentischen Antworten!
Verpasst keine der großartigen Sendungen, die jeden 1., 3. und 5. Mittwoch im Monat um 21 Uhr in der Radiofabrik laufen. Ältere Sendungen könnt ihr hier nachhören.



Stephanie Mattner ist Herausgeberin der SternenBlick Bücher
und hauptverantwortlich für das Projekt.

 

Mehr über Stephanie erfahrt ihr auf ihrer Homepage.



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SternenBlick e.V.
z.Hd. Stephanie Mattner
Postfach 20 01 41
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